1032 - Bachmuschel (Unio crassus) | FFH-Arten in RLP

Steckbrief zur Art 1032 der FFH-Richtlinie

Bachmuschel (Unio crassus)

Gruppe:

Weichtiere

Merkmale:

Die Bachmuschel oder auch Gemeine Flussmuschel wird 6 bis 7 cm, selten bis 10 cm lang und ist gelbbraun bis dunkel-braunschwarz gefärbt. Ihre Schale ist länglich-oval, meist nicht doppelt so lang wie breit. Im Wirbelbereich ist die dickwandige Schale oft korrodiert.

Lebensraum:

Die Bachmuschel ist eine Art der Niederungsbäche sowie der Flüsse und Ströme, dringt aber auch in kleinen Bächen bis in den Oberlauf vor. Sie benötigt klares, sauerstoffreiches Wasser der Gewässergüteklasse I-II über kiesig-sandigem Grund mit geringem Schlammanteil. Da die Jungmuscheln besonders empfindlich auf Wasserverschmutzung reagieren, benötigen sie ein gut durchströmtes, sauerstoffreiches Lückensystem im Sohlsubstrat als Lebensraum. Die erwachsenen Muscheln bewohnen die ufernahen Flachwasserbereiche mit etwas feinerem Sediment, insbesondere zwischen Erlenwurzeln. Sie bevorzugen die gleichen Aufenthaltsorte wie die Fischarten, die ihnen als Wirte für ihre Entwicklung dienen. Gemieden werden lehmige und schlammige Bereiche sowie fließender Sand.

Die Bachmuschel verträgt Schwankungen der Wassertemperatur etwas besser als die Flussperlmuschel. Die Fortpflanzung der Art wird aber von Nitratgehalten im Wasser von durchschnittlich 10 mg/l deutlich beeinträchtigt. In Bächen mit Nitratgehalten von über 25 mg/l kommen keine Bachmuscheln mehr vor.

Biologie und Ökologie:

Die erwachsene Muschel lebt eingegraben in sandigen bis kiesigen Bereichen des Gewässers. Als Filtrierer ernähren sich die Muscheln von Detritus und Plankton im Wasser.

Die Bachmuschel ist getrenntgeschlechtlich. Im April/Mai lagert das Weibchen Eier in die Bruttaschen an den Kiemen ein. Ein Weibchen kann 100 000 bis 250 000 Eier produzieren. Das Männchen gibt seine Spermien ins Wasser ab. Diese gelangen über das Atemwasser in die weiblichen Muscheln und befruchten die Eier. Die sich entwickelnden 0,2 mm großen parasitären Larven (Glochidien) sind nur 1 bis 3 Tage lebensfähig. In dieser Zeit müssen sie einen Wirtsfisch finden, sonst sterben sie ab. Bekannte Wirtsfischarten sind Döbel, Flussbarsch, Elritze, Rotfeder, Kaulbarsch, Dreistacheliger Stichling, Mühlkoppe und Groppe. Nur ein sehr geringer Anteil der Glochidien findet einen Wirt.

Mittels Haftfäden mit Häkchen setzen sich die Larven in den Kiemen, aber auch an den Flossen der Wirtsfische fest. Das Gewebe der Fische reagiert auf diese Fremdkörper mit einer Wucherung, die die Glochidien mit Zysten umschließt. Nach einer 4 bis 6 Wochen dauernden Entwicklungszeit lösen sich die Jungmuscheln aus den Zysten. Sie fallen vom Wirtsfisch ab und graben sich tief im Sediment ein. Dort leben sie 2 bis 3 Jahre im Gewässergrund verborgen. Erst im Alter von 3 bis 5 Jahren sind sie fortpflanzungsfähig.

Die Bachmuschel erreicht ein Alter von 15 bis 35, selten auch von bis zu 50 Jahren. Warme Gewässer setzen die Lebenserwartung der Bachmuschel herab. An der Our zum Beispiel werden die Tiere wegen der hohen sommerlichen Temperaturen 17-22 Jahre alt.

Verbreitung in Rheinland-Pfalz:

Unio crassus war in Deutschland einst überall häufig und weit verbreitet, sie war die häufigste Großmuschel überhaupt. Heute ist die Bachmuschel, die in weiten Teilen Europas vorkommt, in ihrem gesamten Verbreitungsgebiet in starkem Rückgang begriffen und vom Aussterben bedroht. Die Hauptvorkommen in Deutschland befinden sich in Süddeutschland und im westlichen Teil Nordostdeutschlands. Die größte rheinland-pfälzische Population lebt in der oberen Our.

Weitere Vorkommen in Rheinland-Pfalz existieren in Mittel- und Oberrhein, Mosel und Nahe sowie Nister, Saynbach und Wied im Westerwald.

Gefährdungen:

Die Bachmuschel reagiert sehr empfindlich auf Gewässerverschmutzungen. Nach Untersuchungen in Bayern besteht ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der Güllewirtschaft und dem Aussterben der Bachmuschel in den Bächen. Altlasten in den Substraten der Gewässersohle aus Zeiten, in denen die Wasserqualität schlechter war, wirken bis heute nach.

Die Veränderung der Gewässerstruktur durch Gewässerausbau und –unterhaltung sowie die Entfernung natürlicher Ufergehölze vernichten Lebensräume und gefährden dadurch den Muschelbestand.

Weitere Gefährdungen gehen von einer zu geringen Dichte der Wirtsfische aus, von Besatzmaßnahmen mit nicht heimischen Fischen wie Regenbogenforelle oder Bachsaibling sowie einer Gewässerversauerung wie sie durch Aufforstung mit Fichten bis an den Gewässerrand entstehen kann. Zu nennen ist auch die Freizeit- und Erholungsnutzung an Muschelgewässern sowie Bisam, Waschbär und Fischotter als Fressfeinde. Aale können den Jungmuscheln gefährlich werden.

Schutzmaßnahmen:

Zum Schutz der Bachmuschelvorkommen sind vor allem Biotopschutzmaßnahmen, die das Gewässer selbst und sein Einzugsgebiet als Lebensraum sichern, geeignet und erforderlich.

Die Erhaltung und Verbesserung der Wasserqualität, vor allem eine Reduzierung der Nitratfrachten, ist Vorraussetzung für ein Überleben der Bachmuschel. Im unmittelbaren Einzugsgebiet der Fließgewässer ist die Reduzierung von Güllewirtschaft notwendig. Die Anlage von Uferrandstreifen zur Verringerung von Schadstoffeinträgen sowie eine extensive Bodennutzung im Bereich von Muschelgewässern vermindert Einträge von Sedimenten und Nährstoffen ins Gewässer.

Bei Unterhaltungs-, Pflege- und Baumaßnahmen im und am Gewässer sind die ökologischen Ansprüche der Muscheln zu berücksichtigen. Da sich die Tiere in ufernahen Bereichen aufhalten, sind die Ufer an Muschelgewässern nicht durch Steinpackungen, sondern durch Gehölze, vorzugsweise Schwarzerlen und Weiden, zu sichern. Diese sorgen außerdem für Beschattung und ausgeglichene Wassertemperaturen im Sommer. Der Wechsel von lichten und mit Gehölzen bewachsenen Uferbereichen schafft Strukturreichtum.

Strukturfördernde Maßnahmen und eine Reduzierung des Besatzes mit Fremdfischen wirken sich populationsstärkend auf die Wirtsfische aus.

Eine künstliche Infektion der Wirte mit Glochidien kann wie auch eine Konzentration verbliebener individuenarmer Bachmuschelbestände an besonders günstigen Stellen zum Überleben der Art beitragen.

Literatur:

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Stand: 29.08.2014